Interview mit Gerald Stickler, DACHGWA : Ohne Wasserstoff keine Energiewende

DI. Gerald Stickler ist Obmann und Mitgründer der DACH-Gesellschaft für Wasserstoff (DACHGWA). In der HTL Wiener Neustadt ist demnächst ein modernes Wasserstoff-Labor geplant – der ursprünglichen Intention für die Schaffung von Bewusstsein für Wasserstoff ist man mitunter damit treu geblieben.

DI. Gerald Stickler ist Obmann und Mitgründer der DACH-Gesellschaft für Wasserstoff (DACHGWA). In der HTL Wiener Neustadt ist demnächst die Realisierung eines modernen Wasserstoff-Labors geplant – der ursprünglichen Intention für die Schaffung von Bewusstsein für Wasserstoff ist man mitunter damit treu geblieben.

- © Bild: HLK/K. Lutz

Bereits letztes Jahr(22) im Juni bot sich die Gelegenheit, Hr. Gerald Stickler, Obmann und Mitgründer der DACH-Gesellschaft für Wassersoff (DACHGWA), exklusiv zur Gründung der damals noch im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft bestehenden deutsch-österreichischen Gesellschaft für Wasserstoff (DÖGWA), hinsichtlich seiner Vorstellungen zum Thema "H2 in Österreich" zu interviewen. Anno dazumal hieß die Devise: „Der richtige Zeitpunkt zum Einsteigen – Bewusstsein für Wasserstoff schaffen“. Mittlerweile ist das Thema Wasserstoff brandaktuell, wird im politischen Diskurs scharf diskutiert und es konnten erste, wichtige Erfolge zur Schaffung von Bewusstsein für Wasserstoff von der DACHGWA verbucht werden. Wieso Hr. Stickler aktuell die Devise „Wasserstofftechnologie ist notwendig für die Energiewende“ kommuniziert, wie man bei DACHGWA seiner Grundintention treu bleiben konnte und was die HTL Wiener Neustadt mit dem Thema zu tun hat, lesen Sie im Folgenden.
Um nur ein paar wesentliche Punkte für die HLK-Branche vorwegzunehmen: Die Raumwärme, bau- und gebäudetechnische Applikationen von Wasserstofftechnologie werden im Interview ausführlich angesprochen. Auch kommen diverse Gesetzespakete wie beispielsweise das Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG), der Umstieg von fossilen- auf erneuerbare Heizsysteme, die Hebung des Autarkie-Grades und die Blackout-Sicherheit eines Gebäudes durch H2 explizit zur Sprache.

Bei unserem letzten Interview lag die DACHGWA, damals noch DÖGWA, kurz nach ihrer Gründung. Wo steht Sie heute und sehen Sie erste Erfolge für die Schaffung von Bewusstsein für H2 in Österreich, welche die DACHGWA zu verbuchen hat?

Stickler: Die deutsch-österreichische Gesellschaft für Wasserstoff (DÖGWA) ist 2022 im Mai als Arbeitsgemeinschaft aus der Taufe gehoben worden. Bereits im Juni wurde sie um die Schweiz erweitert und gilt seitdem als gemeinnütziger Verein – so nun auch der Name DACHGWA für DACH-Gesellschaft für Wasserstoff.
Mit diesem Verein wurde am 29. September 2022 das 1. DACH-Wasserstoffsymposium an der HTL Wiener Neustadt abgehalten. Mit ca. 240 Teilnehmern in Präsenz und Online sind wir mit der Beteiligung rückblickend durchaus zufrieden. Um kurz zu rekapitulieren, kamen mit div. Rednern und Vortragenden interessante Themen zur Sprache, die sicherlich zur Schaffung von Bewusstsein für Wasserstoff einen Beitrag leisten konnten. Einer dieser Redner war beispielsweise Herr Prof. Dr.-Ing. Walter Theodor Czarnetzki von der Fachhochschule Esslingen (DE), der das Projekt Masterstudium „Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie“ vorstellte. Auch österreichische Studenten können dieses bereits in Deutschland besuchen. Wir möchten dieses Masterstudium nun aber auch in Österreich an der HTL etablieren – und ebenfalls in der Schweiz soll dementsprechend ein Masterstudium eingerichtet werden.
Einen weiteren interessanten Vortrag gab es damals von der EKZ – das ist die Energieversorgung des Kantons Zürich –, die hier ein erstes Pilotprojekt vorstellte: Eine Wohnhausanlage, ausgestattet mit Photovoltaik und Wasserstoffspeicher, wodurch der Energieautarkiegrad dieser Anlage mit relativ kostengünstigen Mitteln wesentlich erhöht werden konnte. Ebensolche Pilotprojekte planen wir jetzt auch in Österreich. Ich selbst leite hierzu zwei Diplomarbeiten vom Kolleg für Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit. Eine Diplomarbeit beschäftigt sich mit der Planung einer Photovoltaikanlage plus Wasserstoffspeicher in Höflein an der Hohen Wand bei der Bergknappensiedlung. Konkret sind das 51 Wohnungen verteilt auf 10 Häuser mit insgesamt ca. 1.000 m² Dachfläche nach Süden hingeneigt. Der dort geplante Wasserstoffspeicher wird so ausgelegt, dass hier auch im Blackout-Fall wichtige Stromverbraucher wie Heizung, etc. mit Energie versorgt werden können. Die überschüssige Energie wollen wir in die dort bereits vorhandene erneuerbare Energiegemeinschaft einspeisen.
Am 23. März 2023 ist bereits das 2. DACH-Wasserstoffsymposium geplant. Bis dato sprechen die Anmeldungen für eine rege Teilnahme – wir erwarten jedenfalls weitaus mehr Teilnehmer als letztes Jahr.
Um nochmals konkret ihre Frage zu adressieren, durch ständige Pressemitteilungen und Veranstaltungen mit dem Thema „Wasserstofftechnologie ist notwendig für die Energiewende“, denke ich, dass DACHGWA hier bereits einen wesentlichen Beitrag leisten konnte und dies auch künftig noch tun wird.

Wie können Wasserstoffspeicher die Autarkie einer Anlage heben?

Mit Elektrolyseuren kann durch Wasserspaltung Wasserstoff gewonnen werden. Wird die für die Elektrolyse nötige Energie vollständig durch erneuerbare Energien – wie z.B. aus PV – angewendet, so resultiert Grüner Wasserstoff. Im Gegensatz zu Strom wird mit H2 speicherbare Sekundärenergie gewonnen. Regenerativ erzeugter Strom wird in Form von Wasserstoff zwischengespeichert und kann je nach Bedarf beispielsweise als Strom(und Wärme) über Brennstoffzellen zurückgewonnen werden.

In der Wasserstoffstrategie der Regierung – dies war nun auch Thema beim Wasserstoff-Gipfel in Tirol, am 23.2.23. – liegt der Fokus auf einer Dekarbonisierung des Industriesektors, der Mobilität und dem Einsatz von Grünem H2 in Bereichen, in denen es wenig Alternativen gibt. Könnte durch den gezielten Ausbau der H2-Infrastruktur und den Umbau/Ausbau der bestehenden Erdas-Infrastruktur für die Raumwärme in Österreich oder generell für bau- und gebäudetechnische Applikationen ein Mehrwert die Folge sein? Ist dieser ihrer Meinung nach evtl. sogar prädisponiert?

Stickler: Die österreichische Wasserstoffstrategie zielt vor allem auf die Industrie ab. Dies leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass alleine die Stahlproduktion in Österreich für ca. 15% der CO2-Treibhausgase verantwortlich ist. Es ist also sinnvoll, energieintensive Unternehmen der Stahlproduktion, aber auch der Zementindustrie oder der chemischen Industrie im Sinne einer Dekarbonisierung mit Wasserstoff umzustellen.
Der zweite Bereich, in dem H2 als Alternative zu fossilen Treibstoffen zum Einsatz kommen soll, ist der Mobilitätssektor. Ich denke dabei speziell an LKWs, Busse, aber auch den Schienenverkehr oder Schiffe. Hier gibt es bereits etliche Pilotprojekte für Wasserstoff – momentan leider nur im Hochdruck-Speicherbereich. Unser Ansatz wäre hier, auch in Fahrzeugen Niedrigdruck-Speicher mit maximal 40 bar statt mit 350 bis 700 bar zu integrieren. Das ist eine neue Entwicklung, die wir hier forcieren möchten. Was im Mobilitätssektor politisch aktuell umstritten ist, sind Wasserstoffverbrennungsmotoren, die neben Brennstoffzellen, welche im Fahrzeug einen Elektromotor antreiben können, technisch durchaus möglich wären. Auf EU-Ebene möchten alle Verbrenner verboten werden, Deutschland hat sich demgegenüber für Wasserstoffverbrenner und synthetische Kraftstoffe ausgesprochen - man wird sehen, was der letzte Schluss sein wird. Die DACHGWA sieht jedenfalls Wasserstoff für den Verkehr als unumgänglich. Im LKW-Bereich denken wir nicht, dass Elektromotoren die Zukunft sind. Eine dementsprechende Batterie schmälert die Zuladungsmöglichkeit und bringt weitere Herausforderungen mit sich.
Als dritten Bereich sehe ich für den Einsatz von Wasserstoff den Raumwärmesektor – insbesondere die Selbstversorgung mit Strom und Wärme. Um wieder auf PV zu sprechen zu kommen, kann über die hauseigene Photovoltaik-Anlage aus Überschussstrom mittels Elektrolyse wertvolle Sekundärenergie in Form von Grünem Wasserstoff produziert und in Speicherkonzepten gespeichert werden. Der gespeicherte H2 kann anschließend verwendet werden, wenn er gebraucht wird – entweder zum Heizen oder zur Stromproduktion, wenn kein PV-Strom produziert wird. Bei den Umwandlungsprozessen von Strom zu Wasserstoff über Elektrolyse fällt Wärme ab, bei der Umwandlung von Wasserstoff zu Strom fällt wieder Wärme ab. Wenn man diese Wärme auch für seine eigene Heizung resp. Warmwasser nutzen kann, wird ein kombinierter Wirkungsgrad von über 90% möglich. Auch wenn das eher als Randthema der österreichischen Wasserstoffstrategie gilt, glaube ich, dies wird künftig auch zu einer Anwendung finden. Beim anstehenden 2. Wasserstoff-Symposium am 23. März wird eben dieses Thema mit zwei Vorträgen adressiert. Entsprechende technische Applikationen wird man dort auch besichtigen können.

Wie sehen Sie den Einsatz von H2 im Heizungstechnik-Bereich – zentral mit Fernwärme oder dezentral mit Brennstoffzellen, H2-Dunkelstrahler, etc.? Wirklich nur ein Randthema, oder ist Technologieoffenheit hier hinsichtlich H2 essenziell?

Stickler: Es gibt bereits einige Pilotprojekte sowohl für dezentrale- als auch für zentrale Anwendungen. Derzeit ist es bereits so, dass in bestehenden Erdgasnetzen eine gewisse Menge an Wasserstoff auch mittransportiert werden kann. Wir sprechen hier von 10-15% Wasserstoff im Erdgasnetz. Die momentane Streifrage ist, ob Wasserstoff direkt eingespeist oder ob dieser zur Herstellung von synthetischem Methan, das schließlich eingespeist wird, verwendet werden soll. Bei zweiterem können weitere Umwandlungsverluste nicht geleugnet werden. Was hier wirtschaftlich und technisch sinnvoll ist, gilt es noch zu evaluieren. Die erwähnten Pilotprojekte möchten dabei Daten und Ergebnisse liefern.
Ich persönlich denke schon, dass eine zentrale Versorgung Sinn machen würde – aber nicht ausschließlich, auch eine dezentrale Versorgung gilt es mitzudenken. Beim Beispiel der PV-Anlage am Dach, der Wasserstoffspeicher im Keller und div. dezentraler Heizeinheiten (insbesondere Brennstoffzellen) lässt sich der Wasserstoff dann verwenden, wenn man ihn für die Raumwärme bzw. Stromproduktion benötigt. Insofern sich die Zeit zwischen der Produktion und Nutzung von Energie in einem Gebäude dadurch dehnen lässt, lässt sich der Autarkiegrad meines Gebäudes, meines Hauses, meiner Firma wesentlich erhöhen.

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Was bedeutet „H2-ready“ bei Gasheizungen?

Beim Begriff „H2-ready“ muss man differenzieren, insoweit es sich hier einerseits um einen scharf umrissenen Terminus technicus handelt, welcher mit einem Prüfsiegel ein objektives Zertifizierungsverfahren garantiert, andererseits verwenden einige Hersteller „H2-ready“ aber auch, um abseits solch einer objektiven Zertifizierung eigene Maßstäbe zu definieren. Mit dem DVGW-Prüfsiegel „H2-ready“ ausgezeichnete Heizanlagen – die nach ZP 3100 der DVGW Cert GmbH zertifiziert sind – sind jedenfalls so ausgelegt, dass diese mit einem Gemisch aus Erdgas und Wasserstoff (mit bis zu 20% H2-Anteil) betrieben werden können.* Eine entsprechende Möglichkeit der Umrüstung vom Bestand mit Erdgas auf ein Erdgas-H2-Gemisch (bis 20% H2-Anteil) soll durch solch ein Siegel garantiert werden.

*Quelle: https://www.heizungsfinder.de/gasheizung/gaskessel/h2-ready , https://www.dvgw-regelwerk.de/plus/#technische-regel/dvgw-gas-information-nr-29/48be24 , https://www.dvgw-ebi.de/dvgw-ebi/aktuelles/zertifizierungsprogramm-zp-3100 (Links zuletzt abgerufen am 21.03.23)

Einige Hersteller werben bereits mit „H2-ready“-Gasheizungen. Es gibt sogar bereits Systeme, welche im Praxistest zu 100% mit H2 betrieben werden können. Könnte H2 bei Gasheizungen Erdgas ersetzen?

Stickler: Bei Brennstoffzellen liegt der elektrische Wirkungsgrad ca. bei 55%. Wenn sich zusätzlich die Abwärme nutzen lässt, kann der Wirkungsgrad auf über 90% erhöht werden. Das verspricht für die Zukunft interessant zu werden. Zu Gasheizungen, die zu 100% mit Wasserstoff betrieben werden – hier gibt es Anbieter, die bereits in Deutschland in div. Pilotprojekten solch installierte Anlagen testen und Messungen durchführen. Mir sind hier aber keine genauen Zahlen vom Wirkungsgrad bekannt. Ich denke, man wird sich hier in einem ähnlichen Bereich wie bei herkömmlichen Gasheizungen bewegen. Da ich hier aber keine genauen Zahlen kenne und mich auch sonst noch nicht ausreichend mit dieser Thematik beschäftigt habe, kann ich keine verbindliche Aussage treffen.

Im Entwurf des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes (EWG) ist die Rede davon, dass alle Gasheizungen bis 2040 durch moderne erneuerbare Heizsysteme ausgetauscht werden oder mit erneuerbarem Gas betrieben werden sollen. Einerseits könnte man Grünen H2, der per Def. ein erneuerbares Gas ist, für die Herstellung von synthetischem Methan verwenden, in Biogasanlagen könnte damit der Methanertrag erhöht werden. Andererseits ließe sich der Grüne H2 anteilsmäßig direkt ins Gasnetz einspeisen. Wie soll Grüner H2 ihrer Meinung nach hier zum Einsatz kommen?

Stickler: Bis 2040 sollen alle Gasheizungen abgebaut werden. Das ist in 17 Jahren. In Österreich gibt es meines Wissens derzeit rund 800.000 Gasthermen. Zum einen sind das also sehr ambitionierte Ziele, wobei ich wirklich daran zweifle, dass dies umsetzbar ist. Zum anderen ist es wahrscheinlich relativ einfach, 10-15% Wasserstoff ins vorhandene Gasnetz einzuspeisen – eine Erdgaseinsparung von bis zu 15% wäre damit mit relativ wenig Aufwand erreicht. In jedem Fall gilt hinsichtlich der Frage, ob man grünen H2 direkt einspeisen, oder diesen zur Herstellung von synthetischem Methan verwenden soll, das schließlich eingespeist wird, selbes, wie zuvor schon erwähnt. Laufende Pilotprojekte werden uns hier hoffentlich Daten und Ergebnisse liefern, die solch eine Entscheidung erleichtern können. Um auch den aktuellen Wärmepumpen-Hype zu adressieren, je mehr Wärmepumpen eingebaut werden, umso mehr Strom wird man in Summe für diese auch benötigen - ein Ausbau der Netzkapazitäten miteingeschlossen.
Was an dieser Stelle sinnvoll scheint, ist Technologieoffenheit, ein Mix an zentralen- und dezentralen Lösungen. Außerdem muss die Wasserstoff-Infrastruktur ausgebaut werden, resp. müssen bestehende Gasleitungen und alles, was sich daran knüpft, tatsächlich H2-ready werden. Hier liegt sehr viel Arbeit vor uns. Um ein Bild zu zeichnen, das österreichische Energiewende-Mobil fährt aktuell mit ca. 20 Km/h. Um die in Aussicht gestellten Ziele bis 2040 erreichen zu können, müssen wir auf mindestens 150 Km/h beschleunigen.
Wie ich denke, liegt eine weitere Schwierigkeit der Energiewende im fehlenden Fachpersonal. Hier gilt es, in die Ausbildung zu investieren, eine Jobinitiative für Fachkräfte zu starten. Für die DACHGWA gilt Ausbildung jedenfalls als Schlüsselfaktor der Energiewende, u.a. möchten wir mit einer berufsbegleitenden Ausbildung zum zertifizierten Energietechniker, Umschulungen, usf. hier unseren Beitrag leisten.

>>> Lesen Sie in diesem Kontext auch: Erneuerbare-Gase-Gesetz: Ministerratsbeschluss und Resonanz

Könnten durch den Ausbau von H2-Erzeugungsanlagen in Österreich(Elektrolyseure im großen Maßstab) und der Wasserstoff-Infrastruktur(einschließlich Einspeisungsanlagen in ein H2-Netz) dezentrale Speichermöglichkeiten – wie in einem Ihrer Referenzprojekte – redundant werden? Respektive könnten solche Projekte künftig eher nur noch für geografische Standpunkte in Frage kommen, in denen die direkte Einspeisung von PV-Strom ins Netz und von erzeugtem H2 in ein mögliches H2-Netz wegen fehlender Infrastruktur nicht möglich ist?

Stickler: Laut Europäischer Kommission sollen bis zum Jahr 2030 10 Millionen Tonnen Wasserstoff hergestellt und weitere 10 Millionen Tonnen importiert werden. Laut österreichischer Wasserstoffstrategie möchte man bis 2030 ein Gigawatt Elektrolysekapazität in Österreich aufbauen. Wenn man wirklich weg von fossiler Energie kommen möchte, wird hier sehr viel an Wasserstoff-Produktion, -Verteilung und -Speicherung notwendig sein. Ich denke, dass jede Möglichkeit zur Produktion von Wasserstoff hier genutzt werden muss. Wir werden jedes Kilo H2 brauchen. Egal, ob über große zentrale Anlagen oder viele kleinere dezentrale Anlagen. Davon, dass solch dezentrale Anlagen wie in unserem Referenzprojekt mit Bürgerbeteiligung redundant werden könnten, denke ich also, sind wir weit entfernt.

Aktuell ist unser Stromnetz nicht in der Lage, einen derartigen Ausbau von Windkraft, PV, etc. mitzumachen, wie er in Planung ist – es fehlen schlicht Netzkapazitäten. Sie denken hier wahrscheinlich an Power-to-Gas resp. dezentrale Lösungen der Speicherung von Strom in Form von H2 als Sekundärenergie und da kommen die Speicherkonzepte der DACHGWA ins Spiel, die sich theoretisch bis in den Bereich von einigen GWh skalieren lassen. Wenn 1. die Stromnetzkapazität ausgebaut wird, werden solche Lösungen in diesem Kontext dann redundant? Wenn 2. die H2-Infrastruktur in Form eines Gas-Leitungsnetzes mit Einspeiseanlagen ausgebaut wird, werden solch dezentrale Lösungen im selben Kontext dann redundant? Wenn 3. beides zugleich ausgebaut wird, werden diese dann erst recht redundant?

Stickler: Wir sind uns einig, dass die Energiewende nur mit einem adäquaten Ausbau der Netzkapazitäten gelingt. Derzeit werden Netzkapazitäten sukzessive erweitert. Ein Ausbau, wie er aber nötig ist, dauert ein paar Jahre, mitunter durch Umweltverträglichkeitsprüfverfahren, anderwärtige Hürden und letztlich die Errichtungsphase. Speziell auch der Ausbau der H2-Infrastruktur wird Zeit brauchen. Eine schnellere Lösung, bereits in ein paar Monaten realisierbar, könnte durch die Errichtung von hochleistungsfähigen Speicherkonzepten geschehen – dem Prinzip folgend, wie sie von der DACHGWA bereits im kleineren Maßstab umgesetzt wurden, aber bis in den Bereich einiger GWh skaliert.
Was neben der schnellen Umsetzbarkeit für solche dezentrale Lösungen spräche, wäre die Möglichkeit einer Kopplung mit dem Gasnetz resp. die zusätzliche Möglichkeit einer Einspeisung in dasselbe. Man würde demnach einfach flexibler werden. In Containern verpackt, ließen sich die H2-Speicher auch transportieren und der H2 andernorts verwenden, wo eventuell das gängige Gasnetz nicht hinreichte.
Ich denke, man wird hier in alle Richtungen sehen müssen, um künftige Entwicklungen nachhaltig abdecken zu können.

Wo sehen Sie bei der Umsetzung der Wasserstoffstrategie, insbesondere wenn es um Importmöglichkeiten(/-notwendigkeit) für Österreich geht, Schwierigkeiten und was könnte man hier fokussieren, um Chancen einer Diversifizierung nicht zu verpassen, um nicht von einer Erdgas-Import-Abhängigkeit in eine H2-Import-Abhängigkeit zu rutschen?

Stickler: Auch darüber ist man sich einig, dass Wasserstoffimporte notwendig werden. In Aussicht stehen hier Importe aus nordafrikanischen Ländern, mitunter weil die Sonneneinstrahlung dort deutlich höher ausfällt und damit ein erhebliches Photovoltaik-Potential ausgeschöpft werden könnte. Außerdem wirken monetäre Intentionen: Die Errichtungskosten von Großanlagen fallen hier deutlich geringer aus. Jedoch muss man die politische Stabilität dieser Länder mitdenken, um die Sicherung einer möglichen Wasserstoffproduktion langfristig auch gewährleisten zu können. Beispielsweise kann diese in Libyen in den nächsten Jahren wahrscheinlich nicht ohne Weiteres gewährleistet werden.
Diversifizierung ist klarerweise ein wesentlicher Faktor, dem wir aktuell mit ganz speziell geladenen Erfahrungen entgegenblicken. Um eine solche erreichen zu können, bedeute dies, neben der Verteilung auf mehrere Länder auch das außenpolitische Geschehen zwischen denselben zu sondieren und letztlich die Anteile der Importe wohlüberlegt/gleichmäßig zu streuen. Es sollte hier ein „Resilienz-Plan“ geschaffen werden, der jedenfalls eine Importabhängigkeit von einzelnen Ländern vermeidet – „Weitsicht vor Nachsicht“ wäre hier die Devise.
Ein weiteres Thema, dass es zu beachten gälte und bei dem ich denke, es böte sich eine Chance, die man ergreifen sollte, ist: Man sollte mit ebendiesen Ländern, ob das nun Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten oder Jordanien sind – um einige zu nennen –, auf Augenhöhe arbeiten. Solche Länder sollten von einer Exportmöglichkeit einen Mehrwert haben, der mehrere Ebenen abdeckt. Über den reinen Export von Wasserstoff hinausgehend könnte man hier Kooperationsmöglichkeiten schaffen, die u.a. zur Stabilisierung der politischen Systeme beitragen können. Konkret denke ich hier an die Schaffung von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich erneuerbare Energien. Man soll(te) potentiellen Fachkräften eine Zukunftsperspektive geben – mitunter, weil wir genau solche künftig dringend brauchen werden, u.a. für auch länderübergreifende Installations- und Wartungsarbeiten. Das bedeutet, die Steigerung einer Wertschöpfung in diesen Ländern über die Gewinnmaximierung zu stellen, auch solchen Ländern einen vielschichtigen Mehrwert einer Energiewende (in Europa) zu ermöglichen.

Die Energie-, Klimaproblematik hört nicht an den EU-Außengrenzen auf!
Gerald Stickler

Um erneut auf den Aspekt Aus-/Weiterbildung abzuheben, will erwähnt sein, dass wir unseren Lehrgang zum zertifizierten Energietechniker bereits auf arabisch übersetzt haben. Ab Herbst 2023 können hier Schulungen in arabischer Sprache angeboten werden.

>>> Lesen Sie in diesem Kontext auch: Ab 2030 könnte Österreich Wasserstoff importieren und: Österreichs Weg in die Erdgas-Import-Abhängigkeit

Wasserstoff-Gipfel in Tirol:

Am 23.02.2023 fand der erste Wasserstoff-Gipfel in Tirol statt. Dort lag über eine Ressourcenbündelung von BMK und BMAW eine mögliche Umsetzung der Österreichischen Wasserstoffstrategie im Fokus der Bemühungen. Den Institutionen „H2Austria“ und „Hydrogen Austria“ kam dabei eine entscheidende Rolle zu.

  • H2Austria“ wird von der Österreichischen Energieagentur im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) betrieben und bildet eine nationale Plattform zur Sicherstellung der Umsetzung der Wasserstoffstrategie für Österreich, die einen regelmäßigen Austausch zwischen den relevanten Stakeholdern gewährleisten möchte.
  • Hydrogen Austria“ wiederum fokussiert auf die Clusterarbeit auf Unternehmensebene und bündelt österreichweit die technologischen und wirtschaftlichen Kompetenzen von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Plattformen rund um die Wasserstofftechnologie. Der Cluster wurde im April 2022 vom damaligen Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) und dem Land Tirol ins Leben gerufen und in der Standortagentur Tirol angesiedelt. Heute ist das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) zuständig.

Ist/wird das geplante Wasserstofflabor am Standort der HTL Wiener Neustadt im Rahmen dieser Clusterarbeit Teil von „Hydrogen Austria“?

Stickler: Ich kenne das Management der „Hydrogen Austria“ schon seit etlichen Monaten. Mit einer Mitgliedschaft haben wir noch bis zur Gründung unserer Wasserstoffgenossenschaft mit Sitz am Forschungs- und Technologiezentrum in Wiener Neustadt gewartet. Diese wurde bei „Hydrogen Austria“ nun aber bereits beantragt und seit letzter Woche(KW 11, 2023) scheint die DACHGWA in diesem Kompetenzatlas für Wasserstoff auch auf.
Zum Wasserstofflabor per se: Die Planungsarbeiten für den Standort an der HTL Wiener Neustadt sind abgeschlossen. Die Finanzierung sollte in den nächsten Wochen über die Bühne gehen. In Aussicht steht eine komplette Anlage zur Erzeugung von Wasserstoff mit bestehenden PV-Anlagen mittels Elektrolyse, welcher in Niedrigdrucktanks auf Basis von Metallhydrid gespeichert werden soll. Mit dem Labor soll einerseits die Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich forciert werden, wobei bereits Interesse der Fachhochschule Esslingen besteht, dieses Labor im Zuge des Masterstudiums „Wasserstoff- und Brennstofftechnologie“ zu nutzen. Es soll auch jeder eingeladen sein, der Interesse für den Betrieb solch einer Anlage hat. Andererseits bildet das Labor ein Referenzprojekt eines zukunftsträchtigen Energiekonzeptes mit Wasserstofftechnologie an einer Schule. Wir rechnen hier mit regem Interesse von mehreren Seiten. Es gibt bereits auch Gespräche mit der Innung der Installateure, die diesem Projekt sehr aufgeschlossen gegenübersteht.

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Bestehende PV-Anlagen am Gelände der HTL Wiener Neustadt sollen grünen Strom für die Herstellung von Wasserstoff mittels Elektrolyse liefern.
Bestehende PV-Anlagen am Gelände der HTL Wiener Neustadt sollen grünen Strom für die Herstellung von Wasserstoff mittels Elektrolyse liefern. - © Bild: HLK/ K. Lutz