Netz-Talk des Forums Versorgungssicherheit : Energienetze als Enabler der Energiewende

Strommasten und Überlandleitungen vor stimmungsvollem Abendhimmel im Gegenlicht des Nachglühens der untergegangenen Sonne am Horizont
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Für das Gelingen der Energiewende setzt sich der Ausbau von Erneuerbaren Energien als eine Conditio sine quo non - dass dabei die Energienetze sozusagen ein Enabler der Energiewende sind, deren Effizienzsteigerung und Ausbau wie auch ein Ausbau von Speichern forciert werden muss, wurde bereits Anfang November letzten Jahres beim Trendforum der Interessenvertretung der E-Wirtschaft unter dem Slogan "Die Energiewende ist auch eine Netzwende" adressiert.

Zudem machte kürzlich der Bundesverband Photovoltaic Austria anlässlich des Endes der Begutachtungsfrist für den integrierten österreichischen Netzinfrastrukturplan (ÖNIP) auf die Dringlichkeit eines zügigen Ausbaues der Stromnetze aufmerksam.

Es gibt also klare Ziele und damit verbundene Aufgaben, die einem Ziel, dem Gelingen der Energiewende nämlich, die Pforten öffnen sollen. Doch die Herausforderungen seien komplex und im Detail würden dabei unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen - so zumindest der Befund einer hochkarätige Diskussionsrunde, die auf Einladung des Forums Versorgungssicherheit am Dienstag, 19. September 2023, den vielen Fragen rund um den Umbau des österreichischen Energiesystems auf den Grund ging.

Gleich eingangs stellte die Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit Brigitte Ederer fest:

V.l.n.r.: Thomas Maderbacher, Karl Gruber, Karin Doppelbauer, Adi Gross, Alois Schroll, Tanja Graf, Franz Angerer, Alfons Haber, Brigitte Ederer, Barbara Stöckl
V.l.n.r.: Thomas Maderbacher, Karl Gruber, Karin Doppelbauer, Adi Gross, Alois Schroll, Tanja Graf, Franz Angerer, Alfons Haber, Brigitte Ederer, Barbara Stöckl - © Bild: Wiener Netze/Martin Lusser
Für das Gelingen der Energiewende müssen ganz unterschiedliche Ziele unter einen Hut gebracht werden. [...] der Umbau muss rasch erfolgen und erfordert hohe Investitionen, doch er soll auch effizent und volkswirtschaftliche vernünftig sein und darf nicht zum Kostentreiber für die Konsument*innen werden.
Brigitte Ederer

Digitalisierung für Effizienzsteigerung und Volatilitäts-Management

Vier Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die für die Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen im Energiebereich mitverantwortlich sind, stellten sich den Fragen und Anregungen: Die Abgeordneten zum Nationalrat Tanja Graf (ÖVP), Alois Schroll (SPÖ) und Karin Doppelbauer (Neos) sowie der Abgeordnete zum Bundesrat Adi Gross (Grüne). Durch den Abend führte Barbara Stöckl.

Im ersten Impulsvortrag verwies der Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur Franz Angerer darauf, dass Wind- und Sonnenenergie großen natürlichen Schwankungen unterliegen, weshalb die Netze künftig mit extremen Lastspitzen zurechtkommen müssen. Eine Chance sieht Angerer hier in der Digitalisierung:

Die Netzbetreiber müssen auf Daten zugreifen können, damit sie genau wissen, was in ihren Netzen passiert. Das ist die Voraussetzung, um die Effizienz zu steigern.
Franz Angerer

Zudem müssten die Netzbetreiber die Möglichkeit erhalten, bei Einspeisern wie auch bei den Konsumenten einzugreifen, um extreme Spitzenbelastung zu vermeiden.

Digitalisierung verstanden als Chance für Effizienzsteigerung und einer Handhabung der Volatilität Erneuerbarer Energien also.

>> Lesen Sie hierzu auch: Wie KI zum intelligenten Schutz der Stromnetze beitragen kann

Die digitale Aufrüstung der Netze sieht auch Alfons Haber als einen Schlüssel für die Bewältigung der Aufgaben. Die Netze sollten schlicht intelligenter werden. Als Vorstand der Regulierungsbehörde E-Control wünscht sich Haber deshalb „starke UND intelligente Netze“. Außerdem meinte dieser:

Die Transformation wird nur gelingen, wenn Information und Investition zusammenspielen.
Alfons Haber

Deshalb sei es das Ziel des Regulators, Investitionen zu ermöglichen, aber zugleich die Kosteneffizienz im Auge zu behalten. Die künftige Gestaltung der Rahmenbedingungen werde von der Idee der Anreizregulierung geleitet werden, so Haber.

Die Produzenten wie auch die Konsumenten sollen tarifliche Vorteile genießen, wenn sie die Netze schonend nutzen. Wir müssen den Netzen die Möglichkeit geben, effizienter zu werden.
Alfons Haber

Sektorenkopplung für Effizienzsteigerung und Volatilitäts-Management

Die Effizienzsteigerung der Netze liegt auch ganz im "Tun" der sogenannten Sektorenkopplung.

Gerade bei Windkraft lehrt der status quo: Natürliche Schwankungen überfordern die Bestandsnetze jetzt schon und zwingen in Spitzenproduktions-Zeiten zu geziehltem Abregeln von Anlagen. Einige alternative innovative Technologien zum Gegensteuern in solchen Spitzenzeiten sind Power-to-Heat oder Power-to-Gas, die üblicherweise auch unter das Stichwort Sektorenkopplung genommen werden. Hier gibt es von diversen Vertretern den Ansatz, dass hierdurch die Effizienz des Gesamtsystemes gehoben werden kann, mindestens aber ein Produktionspotenzial, das sonst verloren ginge, - wenn auch mit Wirkungsgradverlusten - genutzt werden kann.*

* Vgl hierzu insbesondere: Wasserstoff-Pipeline Burgenland-Wien in Planung

Wien-Energie-Geschäftsführer Karl Gruber wusste in seinem Impulsreferat auf eben diese Möglichkeit abzuheben:

Strom und Gas sind derzeit wie getrennte Länder mit regulatorischen Zollschranken. Jetzt kommt noch Wasserstoff als drittes Land hinzu, das ebenfalls wieder abgeschottet wird.
Karl Gruber

Es sei jedoch notwendig, die Übergänge von einem System zum anderen so einfach wie möglich zu gestalten. Die Umwandlung von Strom durch Elektrolyse sollte gefördert und nicht behindert werden. Die bestehende und immer weniger genutzte Infrastruktur für Erdgas sollte für den Transport von Wasserstoff umgewidmet werden.

>> Lesen Sie auch: Ohne Wasserstoff keine Energiewende

Wasserstoff sei laut Gruber unverzichtbar, um das zeitliche Auseinanderfallen von Stromerzeugung und Stromverbrauch zu überbrücken, das die erneuerbaren Energiequellen zwangsläufig mit sich bringen:

Wir müssen den Strom vom Tag in die Nacht und, noch wichtiger, vom Sommer in den Winter bringen. Das geht nur durch Speicherung und Umwandlung via Elektrolyse.
Karl Gruber

Stromspeicher „leiden derzeit unter Doppelbelastung“, weil sowohl das Beladen als auch das Entladen besteuert werden, „das hemmt ihre Nutzung.

Bewusstseinsarbeit

Die Politik sei sich der angesprochenen Probleme durchaus bewusst - so die Antwort der Energiesprecherinnen und -sprecher auf dem Podium. Tanja Graf (ÖVP) verwies auf bereits beschlossene Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung. Der Photovoltaik-Boom habe aber die Verteilernetze an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebracht. Im Zuge dessen fordert Graf:

Wir brauchen eine Entschleunigung bei PV-Anlagen. Es hat keinen Sinn, durch Appelle und Förderungen bei den Menschen Erwartungen zu wecken, die dann nicht erfüllt werden können.
Tanja Graf

Außerdem sprach sie sich für mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Netztarife aus und bekannte sich zur verstärkten Nutzung von Wasserstoff:

Wir sollten das Gasnetz nicht rückbauen, auch wenn wir für die Haushalte den Ausstieg aus der Nutzung von Erdgas befürworten. Wir brauchen die Gasinfrastruktur für den Wasserstoff.
Tanja Graf

Ein wichtiger Aspekt für die Energiewende insgesamt, so Graf, „ist der Faktor Mensch. Wir müssen die Menschen überzeugen, nur dann werden sie die nötigen Maßnahmen akzeptieren. Das gilt für neue Leitungen und neue Umspannwerke ebenso wie für Eingriffe zur Steigerung der Effizienz.

Verständnis für Veränderungen setzt Transparenz voraus, mahnte Neos-Abgeordnete Karin Doppelbauer ein: „Wir finden in Österreich leider ein hohes Maß an Technologiefeindlichkeit vor. Das hat sich schon beim Widerstand gegen Smart Meter gezeigt. Die Unternehmen der Energiewirtschaft, insbesondere die Netze, sind hier gefordert, Vertrauen durch Offenheit aufzubauen.“ Die Idee einer Leistungsbeschränkung für Einspeiser ist in Doppelbauers Augen „sicher notwendig, aber lediglich eine taktische Maßnahme. Das eigentliche Ziel muss immer der Ausbau bleiben.

Adi Gross, Bundesrat der Grünen und selbst Energieexperte, erinnerte daran, dass zu den Zielen der Energiewende auch mehr Sparsamkeit in der Verwendung gehört:

Wir müssen den Verbrauch senken, es wird nicht möglich sein, den Energiebedarf immer weiter zu steigern und ihn trotzdem zur Gänze durch erneuerbare Quellen zu substituieren.
Adi Gross

Die Arbeit der Bundesregierung in der Energiepolitik bezeichnete Gross als „Aufholjagd“ und verwies auf die große Zahl an Gesetzen, die bereits das Parlament passiert haben.

In fast allen Fällen betreten wir dabei Neuland. Uns ist klar, dass wir immer nur erste Schritte gesetzt haben und dass viele dieser Gesetze schon bald an die neuen Entwicklungen angepasst werden müssen. Wir werden da sicher nicht nachlassen.
Adi Gross

Netze als Enabler der Energiewende

SP-Abgeordneter Alois Schroll vermisste hingegen eine langfristige Gesamtstrategie:

Die Energiewende wurde nicht zu Ende gedacht. Man hat unterschätzt, was das alles für die Netze bedeutet. Jetzt stellen wir fest, dass die Netze gar nicht stark genug sind, um das umzusetzen, was die Regierung beschlossen hat.
Alois Schroll

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Er warnte davor, dass ein Nachhinken bei der Energiewende letztlich den Wirtschaftsstandort gefährden könnte. Deshalb dürfe die Energiepolitik auch nicht zum Wahlkampfthema für die Nationalratswahl 2024 werden:

Wir haben keine Zeit, wichtige Gesetze wegen des Wahlkampfs zu verzögern.
Alois Schroll

Netzbetreiber in ihrer Rolle als Ermöglicher der Energiewende

Über das Ziel, die Netze zügig und zu volkswirtschaftlich vernünftigen Kosten auszubauen, herrsche also Einigkeit - das stellte der Geschäftsführer der Wiener Netze Thomas Maderbacher abschließend fest.

Maderbacher bekräftigte zudem den unbedingten Willen der Netzbetreiber, ihre Rolle als Ermöglicher der Energiewende wahrzunehmen:

Damit uns das gelingt, brauchen wir eine Menge an Veränderungen in den Gesetzen und regulatorischen Vorschriften. Der Netz-Talk des Forums Versorgungssicherheit hat gezeigt, dass die Notwendigkeit auch bei den Entscheidungsträgern erkannt wurde.
Thomas Maderbacher

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