Interview : „Das Klimapaket ist zum Kotzen“

© Silke Reents

Bei Volker Quaschning löste die Präsentation des Klimapakets im Oktober 2019 vor allem eins aus: Ernüchterung. Eine Energiewende sei mit dem Maßnahmenpaket nicht möglich, ist der Professor für Regenerative Energiesysteme überzeugt. Im Gespräch mit HLK erzählt er, worauf es bei der Energiewende in Deutschland ankommt und auf welche Heizsysteme zukünftig gesetzt werden muss.

HLK: In wenigen Wochen wird das Klimapaket ein Jahr alt. Ihre Begeisterung hielt sich bei der Präsentation vergangenes Jahr in Grenzen, wie sieht es heute aus?

Volker Quaschning: Ich habe es schon damals in einem Youtube-Video auf meinem Kanal wenig diplomatisch gesagt: Das Klimapaket ist zum Kotzen. Nach den zahlreichen Demonstrationen von Fridays for Future hätten wir erwartet, dass das Klimapaket etwas bewirkt. Immerhin wurde eine CO2-Steuer eingeführt, das ist ganz okay. Aber der Lenkungseffekt ist bei dem niedrigen Preis ist verschwindend gering. Ein CO2-Preis von 25 Euro pro Tonne verteuert Diesel um nur etwa sieben Cent, deswegen werden die Leute nicht aufhören, autozufahren. Die Enttäuschung ist also nach wie vor da.

HLK: Damit die Energiewende in Deutschland wirklich gelingen kann, fordern Sie, dass die Geschwindigkeit des Erneuerbaren-Ausbaus verfünffacht wird. Ist das politisch realistisch?

Volker Quaschning: Sehen wir uns dafür zuerst die Photovoltaik an: 2012 gab es hier schon einen jährlichen Zubau von 7,6 Gigawatt. 2015 wurde dieser Zubau durch politische Maßnahmen auf 1,5 Gigawatt gedrosselt, mittlerweile hat er sich auf vier bis fünf Gigawatt erholt. Damit befinden wir uns heute aber immer noch gut 30 Prozent unter dem Höchststand von 2012. Hätte man den Zubau damals jährlich um nur zehn Prozent gesteigert, wären wir heute da, wo wir sein müssten. Jetzt fangen wir hingegen wieder von null an, die Chance wurde verpasst. Man könnte das aber immer noch hinbekommen, wenn man beim Thema Klimaschutz nur halb so radikal wäre wie bei Corona.

HLK: Und bei der Windenergie?

Volker Quaschning: Bei der Windenergie waren wir 2017 bei einem Ausbau von jährlich fünf Gigawatt. Jetzt ist der Windenergie-Zubau wegen politischer Fehlentscheidungen komplett eingebrochen, 2019 haben wir fast gar nichts gebaut. Die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger wurde verspielt, wir haben Genehmigungsverfahren von bis zu zehn Jahren und die 10H-Regelung in Bayern macht den Ausbau quasi unmöglich. 2.000 Meter Abstand müssen Windräder in Bayern zu Wohnhäusern haben – die Abstände zu Atomkraftwerken sind häufig wesentlich geringer. Ohne die Windenergie wird das mit der Klimaneutralität in Deutschland aber nichts, da die Versorgung mit erneuerbarer Energie im Winter sonst nicht möglich ist.

HLK: Als Lösung für die Versorgungssicherheit im Winter wird oft der Import von Strom genannt. Wäre das eine Alternative zum Windkraft-Ausbau?

Volker Quaschning: Man kann die Energie schon importieren, aber der Strom muss ja auch irgendwie nach Deutschland geleitet werden und so ein Strommasten ist auch nicht schön. Man müsste den Strom aus dem Süden über Frankreich nach Deutschland leiten und ich weiß nicht, wie begeistert die Franzosen von der Idee wären. Es reicht ja nicht nur eine Stromtrasse zu bauen, wir bräuchten zahlreiche Trassen, um den Strom nach Deutschland zu bringen. Und damit würden wir uns zusätzlich von anderen Ländern abhängig machen.

HLK: Abgesehen vom politischen Unwillen, wo hakt es bei der Energiewende noch?

Volker Quaschning: Derzeit fehlen auf jeden Fall Fachkräfte im Bereich erneuerbare Energie. Da sehe ich die Achillesferse. Aber: Durch die Umstrukturierung des Energiesektors und den Kohleausstieg werden Leute freigesetzt. Hier muss man dafür sorgen, dass diese Menschen umgeschult und weitergebildet werden, damit sie die neuen Arbeitsplätze im Bereich Erneuerbare besetzen können. Gerade durch Corona sind nun auch einige Arbeitskräfte frei geworden, die man direkt umschulen könnte. Vor Corona wäre es eng geworden mit den Fachkräften, jetzt kann man das lösen.

HLK: Nun braucht es in Deutschland nicht nur eine Energiewende, sondern auch eine Wärmewende, denn der Gebäudebestand ist veraltet und ineffizient. Wie geht es im Gebäudesektor voran?

Volker Quaschning: Schleppend. Wir haben noch rund 20 Jahre, um die Klimakrise abzuwenden, bis dahin werden wir nicht alle Gebäude dämmen können. Die Sanierungsrate liegt bei rund einem Prozent, wir würden also rund 100 Jahre brauchen, um alle Gebäude zu sanieren. Das kann man leider auch nicht dramatisch beschleunigen, deshalb muss man an anderen Punkten wie der Heizung ansetzen. Die Regierung müsste dafür sorgen, dass im keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden. Das muss über das Ordnungsrecht geregelt werden. In Dänemark wurde das schon vor einiger Zeit so umgesetzt, dort wird nun unter anderem auf die Wärmepumpe als Heizsystem gesetzt. So müsste das auch in Deutschland laufen.

HLK: Die Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten beim Umstieg von einer Ölheizung auf eine Wärmepumpe in Deutschland aber zumindest einen Kostenzuschuss. Hilft das nicht, auf umweltschonende Heizsysteme umzusteigen?

Volker Quaschning: Wenn wir noch 200 Jahre Zeit hätten, dann würde ich sagen, dass das genau das richtige Mittel ist. Die Zeit haben wir aber nicht mehr, deshalb ist es nun wichtiger, dass keine Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden. Das lenkt in die richtige Richtung.

HLK: Wechseln wir von der Heiz- zur Kältetechnik: Die Nachfrage nach Klimaanlagen steigt und damit auch der Strombedarf, der wiederum mit fossiler Energie gedeckt wird. Wie kann man aus diesem Teufelskreis ausbrechen?

Volker Quasching: Da gibt es wahrscheinlich wenig Spielraum. Natürlich wollen die Menschen in reichen Ländern trotz Hitzeextreme ihren Klimakomfort beibehalten. Das muss beim Erneuerbaren-Ausbau eingeplant werden, damit der Strombedarf durch Erneuerbare kompensiert werden kann. Das „Gute“ ist aber, dass durch den Temperaturanstieg im Winter weniger geheizt wird und sich der Energiebedarf damit etwas ausgleicht. Dennoch müssen wir hier vorplanen und Tempo machen, damit wir den Klimawandel in den Griff bekommen.

HLK: Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Maßnahmen politisch schnell umgesetzt werden können. Gleichzeitig schwächt die Krise der Weltwirtschaft. Hat die Corona-Krise der Energiewende nun geschadet oder gutgetan?

Volker Quaschning: Eine Krise ist nie gut. Temporär gibt es aber positive Effekte auf die Energiewende. Die Pandemie senkt den Energiebedarf und zeigt, dass radikale Maßnahmen möglich sind. Vielleicht schöpft die Politik daraus Mut. Auf der anderen Seite ist die Klimadiskussion mit Corona natürlich völlig abgewürgt worden, es gibt nun weniger Druck auf die Politik. Da nun so viel Geld für die Corona-Krise aufgewendet werden muss, werden einige Politiker beim Thema Energiewende bestimmt sagen ‚Sorry, die Kassen sind leer‘. Langsam bekommt das Thema Klimaschutz aber wieder mehr Aufmerksamkeit, vor allem wegen der Brände in Amerika. Das könnte der Diskussion guttun.

https://youtu.be/hnREClvPd2I Volker Quaschning findet das Klimapaket der deutschen Regierung zum Kotzen.