Produktionswert in Österreichs Industrie : Beachtliches Plus ist vor allem Preiseffekten geschuldet

Industrie in Österreich

Die Bilanz der heimischen Industrie in Zahlen sieht für das Jahr 2022 gut aus, aber das Plus der Produktionswerte ist vorrangig Kosten- und Preiseffekten geschuldet.

- © HLK/E. Herrmann

In Österreich gibt es rund 3.400 Industriebetriebe; das sind zwar „nur“ 1,3 % der insgesamt 272.000 Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft. Aber diese Industriebetriebe geben rund 17 % der Beschäftigten einen Arbeitsplatz, erwirtschaften ca. 23 % der gesamten Bruttowertschöpfung sowie 37 % des Produktionswerts der gewerblichen Wirtschaft. Nachdem diese Industriebetriebe rund 68 % ihrer Güter außerhalb Österreichs absetzen, sind sie auch als wichtiger Exportfaktor anzusehen.

Außergewöhnliches Jahr 2022

Der vorläufige Produktionswert der österreichischen Industrie stieg 2022 auf nominell 252,3 Mrd. Euro (gegenüber 203,9 Mrd. in 2021). Dieses beachtliche Plus beruht jedoch vor allem auf Preiseffekten aus dem Energiebereich. Denn der Anteil der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmen an der heimischen Industrieproduktion hat sich von 10 % (im Jahr 2020) auf 24 % (im Jahr 2022) mehr als verdoppelt.
Wir sehen ein recht gemischtes Bild, entsprechend vielschichtig fällt unser Resümee für das abgelaufene Jahr aus“, sagte Mag. Siegfried Menz, Obmann der Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), bei der Pressekonferenz am 06. April 2023. „Auf dem Papier präsentiert sich die Konjunktur wesentlich freundlicher als in der Realität der Unternehmen. Vom nominell starken Produktionswachstum bleibt nämlich nur ein bescheidenes Mengenwachstum übrig.“

Produktion der Industrie in Österreich 2019 bis 2022
Abgesetzte Produktion in Mrd. Euro der Industrie in Österreich von 2019 bis 2022 (Quellen: Statistik Austria, Konjunkturstatistik, Sonderauswertung in Kammersystematik, endgültige Werte bis 2021 & vorläufige Werte für 2022, Bundessparte Industrie WKÖ). - © Bundessparte Industrie WKÖ

Gestiegene Produktionswerte, nachlassende Dynamik

Klammert man die Mineralölindustrie sowie Gas- und Wärmeversorgungsunternehmen aus, so lag die Produktionssteigerung der Industrie 2022 bei +15,1 % (gegenüber 2021). „Dieses Plus der Produktionswerte war ebenfalls vorrangig Kosten- und Preiseffekten geschuldet. Die Industriekonjunktur verliert an Schwung“, sagte Andreas Mörk, Geschäftsführer der Bundessparte Industrie in der WKÖ. „Gegen Jahresende hat die Dynamik nachgelassen und sogar ins Negative gedreht. Jetzt deuten die spürbare Verunsicherung, gepaart mit rückläufigen Neuaufträgen und gut gefüllten Lagerbeständen, auf eine weitere Verlangsamung der Produktion in den kommenden Monaten hin.“
Hatte sich die Industrie-Konjunktur im Oktober und November bereits eingebremst, so war die abgesetzte Produktion im Dezember 2022 geringer als im Vorjahresmonat. Ein ähnliches Bild zeigen die Auftragseingänge, die Ende 2022 erstmals seit Beginn der Corona-Krise (im ersten Halbjahr 2020) ins Negative rutschten.
2023 verringerten viele Betriebe die Produktion infolge sinkender Neuaufträge aus dem In- und Ausland und hegen für heuer deswegen auch eher sinkende Produktionserwartungen. Das geht aus dem von UniCredit Bank Austria erhobenen Einkaufs-Manager-Index (EMI) hervor, der im März 2023 auf den niedrigsten Wert seit Mai 2020 fiel. Der EMI liefert ein weiteres interessantes Detail: Bei den Einkaufspreisen kam es erstmals seit 30 Monaten zu einem Rückgang.

Standortnachteil durch Energiekosten

Die Standortnachteile gegenüber internationalen Mitbewerbern sind eklatant“, warnt Spartenobmann Siegfried Menz, und meint damit nicht nur die sehr hohe Inflation, sondern vor allem die hohen Energiekosten. „Wir brauchen mehr denn je eine Strompreiskompensation, wie sie der EU-Emissionshandel für wettbewerbsintensive Industrien vorsieht. Bei CO2-Preisen von 100 Euro pro Tonne duldet das keinen Aufschub. Mehr als die Hälfte aller EU-Staaten, inklusive unseren Nachbarn, hat diese Kompensation schon umgesetzt. Die Bundesregierung hat die Maßnahme sogar in ihrem Programm als Ziel formuliert!“
Verschärft werde das Manko, speziell gegenüber Deutschland, durch Zusatzkosten aus der seit 2018 künstlich getrennten deutsch-österreichischen Strompreiszone: „Die Preisdifferenz zu deutschen Unternehmen ist im Jahresdurchschnitt auf mehr als 30 Euro je Megawattstunde gestiegen. Allein 2022 ist Österreichs Stromverbrauchern daraus ein Nachteil von 1,9 Milliarden Euro erwachsen. Das geht voll zulasten der rot-weiß-roten Industriebetriebe“, gibt Menz zu bedenken.

Preisschub durch Erneuerbares-Gas-Gesetz?

Aus dem Entwurf zum Erneuerbaren-Gas-Gesetz (EGG), dessen Begutachtung kürzlich beendet wurde, könnte sich ein nächster Preisschub ergeben, wie auch Menz warnt: „Unrealistisch hohe Zielquoten und exorbitante Strafzahlungen für die Gaswirtschaft wären ein Giftcocktail; das würde eine Abschottung Österreichs vom europäischen Gasmarkt und einen neuen Preisschock für die Industrie bedeuten. Hier muss dringend nachgebessert werden“.
Die Industrie fordert darüber hinaus eine weitere Diversifizierung der Gasimporte und den Ausbau heimischer Produktion, Österreichs Anbindung an Pipelines für Gas aus LNG-Terminals und den raschen, aber kosteneffizienten Markthochlauf für erneuerbares bzw. klimaneutrales Gas. „Insbesondere Biomethan und Wasserstoff sind für die Dekarbonisierung der Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität von zentraler Bedeutung“, meint Menz. Ohne Wasserstoff werde es keine Energiewende geben, prognostiziert Prof. Gerald Stickler von der DACH-Gesellschaft für Wasserstoff im HLK-Interview.
Ein bisheriger „Bremsklotz“ konnte unterdessen gelockert werden: „Die Novelle der Umweltverträglichkeitsprüfungen wird Verfahren beschleunigen, Investitionen anschieben und uns helfen, die Transformation in Richtung Energiewende rascher zu bewältigen“, ist Menz überzeugt. Er fordert ähnliche Fortschritte in der Digitalisierung im Bereich der Verwaltung.

Mehr Geld für Forschung wünschenswert

Wenn es um die Zukunftstechnologien für die Mobilität, Energieversorgung oder Produktion geht, sollten dem Forschungsdrang keine Grenzen gesetzt sein“, betont Spartengeschäftsführer Andreas Mörk: „Tatsächlich kämpfen wir aber mit einer Unterdotierung der Fördertöpfe.“ Jedes fünfte Projekt, das sich Unterstützung verdient hätte, konnte zuletzt mangels budgetärer Deckung nicht bedient werden. 2022 mussten in der Forschungsförderung 226 Mio. Euro abgelehnt werden, jedes zweite Nein betraf ein Unternehmen.
Die Mittel der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) ermöglichen vielen österreichischen Betrieben den Einstieg in Forschungstätigkeiten. Trotz der hohen Inflation ist keine Aufstockung geplant. Mörk sieht darin „einen nachhaltigen Schaden für den Forschungsstandort. Wir brauchen kurzfristig 50 Millionen und mittelfristig 100 Millionen Euro pro Jahr für die FFG-Basisprogramme, wenn Österreich den Anspruch auf Innovationsführerschaft ernst nehmen will.

Beschäftigungs-Hoch

Das Beste kommt zum Schluss, und das betrifft den Personalstand. Österreichs Industrie beschäftigte 2022 im Jahresdurchschnitt 468.600 Personen. Damit fehlen nur 600 Personen auf den Wert von 1995 – ein 27-Jahres-Hoch. „Im Vorjahr fanden 8.500 Personen zusätzlich einen Arbeitsplatz in der Industrie, 6.300 davon als Eigenpersonal. Das zeigt, dass die Unternehmen auf die zusehends schwierigere Rekrutierung von Fachkräften reagieren und das Beschäftigungsniveau hoch halten“, so Mörk. Besonders in der Elektro- und Elektronikindustrie, der Chemischen Industrie und der Metalltechnischen Industrie wurde im Vorjahr verstärkt Eigenpersonal aufgebaut; ebenso in der Holz-, Nahrungs- und Genussmittelindustrie oder bei Bergwerken/Stahl.