Fassadenbegrünung : Famoose Fassade

moss green wall texture background nature jungle beautiful forest grass lichen closeup natural close surface plant fresh leaf growth stone wet macro textured abstract pattern ground reindeer spring outdoor color up flora decoration floor grow wallpaper rock rangiferina garden park environment mossy tree landscape summer waterfall stream outdoors river field
© methaphum - stock.adobe.com

Ein Spaziergang über den moosbewachsenen Waldboden entspannt nicht nur, er tut auch der Lunge gut. Die unscheinbaren Pflanzen können Schadstoffe aus der Umgebung aufnehmen und damit die Luft filtern. Das Startup Artificial Ecosystems aus Kaiserslautern macht sich diesen Effekt zunutze und begrünt Fassadenplatten mit Moos. „Moos ist nicht gleich Moos: Alleine in Deutschland gibt es rund 1.000 verschiedene Moosarten, weltweit spricht man von 15.000 Arten“, erklärt Startup-Gründer Tobias Graf im HLK-Interview. Für die Fassadenplatten nutzt das junge Unternehmen deshalb vier verschiedene Moosmischungen aus jeweils drei bis vier Moosarten. Die Mischungen sind dabei auf vier verschiedene Klimabedingungen ausgelegt: sehr sonnig, schattig, gemäßigt kühl und gemäßigt heiß.

Vorhangfassade ohne Wartungsaufwand

Bei den Fassadenplatten von Artificial Ecosystems handelt es sich um hinterlüftete Vorhangfassaden, die mittels Agraffensystem aufgehängt werden. Hinter der Vorhangfassade verstecken sich Sensorik und Bewässerung für die Moosplatten. Die Pflanzen müssen dadurch nicht zusätzlich gepflegt werden, die Versorgung mit Wasser und Nährstoffen übernimmt das BryoSystem des Startups. „Für die Bewässerung nutzen wir eine Regenwasserzisterne. Dadurch machen wir Regenwasser nutzbar und entlasten die Kanalisation“, erklärt Graf. Das System sorgt aber nicht nur dafür, dass die Pflanzen bewässert werden, es lässt sie auch nicht über sich hinauswachsen. „Die Oberflächenstruktur der Fassadenplatte ist perfekt für die Anhaftung und Ausbreitung der Moose ausgelegt. Moos ist nicht dazu in der Lage, über Ränder hinweg zu wachsen, wodurch sie sich auf die Fassadenplatte beschränken. Ihnen fehlen die nötigen Leitungsbahnen“, so der Biologe. Dass Moose sehr anpassungsfähig sind zeigt sich in allen Städten. Sie können sich an den verschiedensten Gebäuden festsetzen und weiter wachsen, wenn genügend Feuchtigkeit vorhanden ist. Diese Fähigkeit berücksichtigt das BryoSyste: Außerhalb der Fassadenplatte fehlt den Moosen der richtige Wuchsuntergrund sowie die Bewässerung, was die Pflanzen davon abhält über das ganze Gebäude hinweg zu wachsen.

Das Startup wurde erst im März 2019 gegründet, die Entwicklung steckt damit noch im Anfangsstadium. Derzeit hat Artificial Ecosystems eine Fassadenplatte mit einem Meter Länger und 35 Zentimeter Breite im Repertoire. Durch eine Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und mögliche Partner soll das Angebot weiter ausgebaut werden. „Wir sind nicht das erste Startup, das versucht mit einem Mooswandsystem auf den Markt zu kommen. Der bedeutende Unterschied zu anderen Versuchen ist, dass wir nicht ausgewachsene Moose an die Fassade geben und versuchen sie künstlich am Leben zu halten, sondern wir kultivieren das Moos schon sehr früh an dem Ort, an dem es letztendlich bleiben soll. Dadurch können sich die Moose an das Klima adaptieren, was das Überleben der Pflanzen fördert“, so Graf. An der richtigen und kostenarmen Fassadenbegrünung haben sich bereits einige Unternehmen und Städte versucht. So zum Beispiel Stuttgart: Dort wurde eine Mooswand errichtet, die der Luftreinhaltung dienen sollte. “Dabei wurden aber ausgewachsene Moose verwendet und auch die Feuchtigkeitsbedingungen waren nicht optimal”, erklärt Graf das Scheitern des Projekts.

Der Mikro-Wald in der Stadt

Langfristiges Ziel des Startups ist, ganze Straßen und Viertel mit den begrünten Fassaden auszustatten, um die Luftqualität vor Ort zu verbessern und Überhitzung zu vermeiden. Da Moose keine Wurzeln haben, nehmen sie ihre Nährstoffe aus der Luft auf. Somit binden die selbstklimmenden Pflanzen Feinstaub und filtern die Luft. Außerdem sind sie eine gute Wärmeisolation. Das Vorstellungsvermögen des Startups ist groß, derzeit gelingt die Umsetzung aber nur im Kleinen. Anfragen kommen vor allem von Architekten und Bauherren, die mit den Fassadenplatten einen Akzent setzen wollen. Auch private Kunden nutzen die Fassadenplatten, um den Eingang zu verschönern. Auswirkungen auf die Luftqualität wird das jedoch nicht haben. Der Startup-Gründer ist sich dessen bewusst: „Wir wollen auch keine Luftblase aufbauen und behaupten, dass schon kleine Flächen für die Luftreinhaltung ausreichen. Es braucht natürlich dementsprechend große Flächen, die wir, mit Hilfe von Partnern, bereit sind zur Verfügung zu stellen.“ Bisher wurden die Fassadenplatten in mühevoller Handarbeit geschaffen, nun baut das Startup eine Produktionskette auf, die die Arbeitsschritte automatisieren und beschleunigen soll. Bei der Preisgestaltung orientiert sich Artificial Ecosystems an bestehenden Fassadenbegrünung aus Konkurrenzunternehmen, genaue Zahlen können aber noch nicht genannt werden. „Wir punkten damit, dass die Betriebskosten für das BryoSystem sehr gering sind“, meint Graf. Bei Fassadenbegrünung mit größeren Pflanzen sind der Aufwand und dementsprechend die Laufenden kosten recht hoch. Die Pflanzen überleben den Winter häufig nicht und müssen im Frühjahr erneuert werden. Zudem können sich Kletterpflanzen weit ausbreiten, ihr Wachstum lässt sich schwieriger Kontrollieren als es bei Moosen der Fall ist.

Derzeit ist der Jungunternehmer auf der Suche nach Pilotprojekten, die demonstrieren sollen wie wartungsarm das System ist. Im Vergleich zu Fassadenbegrünung mit anderen Pflanzen ist die Instandhaltung der Moosplatten außerdem sehr günstig. „Die Moose können problemlos 365 Tage im Jahr draußen überleben und sind zudem ein ganzes Jahr über grün. Abgestorbene und braune Pflanzenreste gibt es damit nicht“, erklärt Tobias Graf und geht noch einen Schritt weiter: „Wir wollen die Welt begrünen. Ganze Stadtteile sollen nicht nur mit Moosen ausgestattet werden, sondern als eigene, künstlich geschaffene Ökosysteme mit einer Pflanzen- und Insektenvielfalt fungieren.“ Die Technologie dafür hat das Startup geschaffen, nun braucht es nur noch die richtigen Kunden.