In Österreich ist der Kohleausstieg mit nur zwei Kohlekraftwerken kein großes Thema, in Deutschland ist das Kohle-Problem dafür umso größer. Rund 150 Braun- und Steinkohlekraftwerke sind dort in Betrieb, 23 davon werden vom Konzern RWE betrieben, 14 von Vattenfall. Vor allem in Nordrhein-Westfahlen befinden sich außerdem noch viele Tagebaue, die nicht nur Energie liefern, sondern auch Arbeitsplätze bieten. Ein rascher Kohleausstieg bis 2030 soll laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft 72.000 Arbeitsplätze gefährden.
Klima- und Energie-Experten sehen das aber ganz anders: „Wir haben in Deutschland in der Braunkohle nur rund 20.000 Arbeitsplätze. Der wegfallende Bereich wäre damit gar nicht so groß. Gleichzeitig entstehen im Bereich der erneuerbaren Energie zusätzliche Arbeitsplätze“, erklärt Volker Quaschning, Studiengangsprecher regenerative Energien an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und einer der Mitbegründer der „Scientists for Future“-Bewegung. „Außerdem ist damit zu rechnen, dass der Kohleausstieg noch mindestens zehn Jahre dauert. Bis dahin gehen rund 10.000 Arbeiter aus der Kohle-Branche in Rente“, erörtert Quaschning.
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Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, teilt diese Ansichten und sieht außerdem großes Potenzial im Bereich der Erneuerbaren: „Bei den Erneuerbaren wurden bereits rund 340.000 Arbeitsplätze geschaffen. Wichtig ist hier aber, darauf zu achten, dass die Arbeitsplätze auch in den richtigen Regionen geschaffen werden.“ Wind- und Solarparks werden häufig an ganz anderen Standorten errichtet als Kohlekraftwerke. Dadurch verlagern sich die Arbeitsplätze. „Hier muss der Staat Übergangslösungen und Sozialfonds einrichten, damit die Menschen abgesichert sind“, meint Quaschning.
Feilschen um jedes Jahr
Für den Ausstieg aus der Kohle hat die Kohlekommission bereits einige Ziele festgelegt. Bis 2022 sollen 12,5 Gigawatt installierte Kraftwerksleistung vom Netz gehen. Der endgültige Kohleausstieg soll 2038 folgen. „Angesichts des Pariser Klimaschutzabkommens ist 2038 eigentlich schon viel zu spät. Wir sollten schon bis 2030 klimaneutral sein“, erklärt Quaschning. Ein vorzeitiger Ausstieg 2035 wird von der Kohlekommission in Betracht gezogen, ist aber kein klares Ziel. Für die Pariser Klimaziele macht das keinen Unterschied, denn auch 2035 wäre der Ausstieg zu spät.
Ein rascher Ausstieg bringt aber auch einen ebenso raschen Umstieg auf neue Technologien mit sich. Es müssen Alternativen für stillgelegte Kohlekraftwerke gefunden werden, damit einerseits die Flächen und Bauwerke weiterhin genutzt und andererseits die Arbeitsplätze in den jeweiligen Regionen gesichert werden können.
Salz statt Kohle
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR am Standort Stuttgart beschäftigt sich deshalb bereits jetzt mit der späteren Nutzung stillgelegter Kohlekraftwerke. Vor kurzem stellten DLR-Forscher ein Konzept für Wärmespeicherkraftwerke vor, das bestehende Kohlekraftwerke und deren Infrastruktur weiterhin verwendbar machen soll. Als Wärmespeichermedium dient dabei Flüssigsalz. Mit der gespeicherten Wärme kann Wasserdampf erzeugt werden, der wiederum Turbinen für die Stromerzeugung betreibt. Flüssigsalz eignet sich in mehrerlei Hinsicht ideal als Speichermedium, weil es kostengünstig und weltweit verfügbar ist sowie in flüssiger Form bei Temperaturen zwischen 170 und 560 Grad Celsius eingesetzt werden kann.
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Ein weiterer Vorteil: Mit den Speicherkraftwerken kann auf die hohe Flexibilität der erneuerbaren Energiequellen reagiert werden. "Mit Hilfe von Wärmespeicherkraftwerken sind wir in der Lage, Schwankungen aus dem Netz zu entfernen und Strom nach Bedarf zu liefern. Wir veredeln somit die variable Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen", beschreibt der Direktor des DLR-Instituts für Technische Thermodynamik, André Thess, das Verfahren.
Kraftwerksgebiet als Erdwärme-Quelle
Auch im Bundesland Nordrhein-Westfalen wird nach möglichen Lösungen für die Nutzung ehemaliger Kohle-Standorten gesucht. Am RWE-Kraftwerkstandort Weisweiler erkunden 18 Partner aus sechs Nationen unter der Projektleitung des Geologischen Dienstes NRW das Erdwärme-Potenzial. „Das Rheinische Revier soll so zur europäischen Modellregion für den Umbau zu einer modernen, innovativen und klimafreundlichen Industrie der Zukunft werden. Tiefengeothermie bietet die Chance, Wärme klimaneutral zu erzeugen und kann außerdem einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten“, erklärt der nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Energieminister Andreas Pinkwart.
Der Schwerpunkt des Projekts liegt dabei auf der hydrothermalen Tiefengeothermie aus Karbonaten im jeweiligen Projektraum. Martin Salamon vom Geologischen Dienst ist zuversichtlich: „Nordrhein-Westfalen verfügt über hohe geologische Potenziale für eine ökonomische und sichere Nutzung von tiefer Erdwärme. In verkarsteten und tief liegenden Kalkstein Vorkommen sind die Erdwärmemengen hoch. Diese Potenziale sollten erforscht und genutzt werden.“
Volker Quaschning sieht vor allem in ehemaligen Steinkohlegebieten Potenzial für die Geothermie: „Für den Steinkohleabbau werden lange Schächte verwendet, die auch in der Geothermie nützlich sein können. An den Standorten von Kohlekraftwerken sind außerdem bereits Energienetze und eine gute Infrastruktur vorhanden, die dadurch weiterhin genutzt werden können.“ Dennoch sei die Geothermie nicht die optimale Lösung, meint der Energie-Experte: „Durch die Geothermie können nur einige wenige Gigawatt Energie gewonnen werden. Das ist zwar ganz nett, für die Energiewende aber absolut nicht entscheidend.“ Wichtiger sei deshalb die Investition in große Solar- und Windparks. Rund 300 Gigawatt Windenergie und 400 Gigawatt Solarleistung müssen laut Quaschning zugebaut werden, um die fehlende Energie aus Erdöl, Kohle und Gas ersetzen zu können. Wichtiger als die Nutzung stillgelegter Kohlekraftwerke sei für die Energiewende deshalb der Zubau an erneuerbarer Energie.
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