Kältemittel-Schmuggel : Kalt erwischt

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Klimaschädliche Kältemittel reduzieren und Hersteller zum Umstieg auf umweltschonende Mittel bewegen: Das war das Ziel der Europäischen Union, das mit der F-Gase-Verordnung umgesetzt werden sollte. Mit dem sogenannten Phase-Down sollten die am Markt verfügbaren Mengen an fluorierten und teilfluorierten Kohlenwasserstoffen (HFKW) schrittweise reduziert werden, um sie langfristig teurer und damit unattraktiver zu machen. Mag in der Theorie gut klingen, war aber ein Schuss ins eigene Knie – und der war vorhersehbar.

Alle EU-Länder sind betroffen

Innerhalb der EU wurden die Kältemittel zwar tatsächlich teurer, das änderte jedoch nichts an den Preisen am Weltmarkt. Internationale Händler erkannten darin schnell ihre Chance und begannen damit, die nun illegalen Kältemittel in die EU zu schmuggeln. Mittlerweile ist daraus ein lukratives Geschäft geworden. Erst vor wenigen Wochen stellte die Polizei an der EU-Außengrenze zu Griechenland 3,5 Tonnen illegales Kältemittel in verbotenen Einwegbehältern sicher. In Bulgarien beschlagnahmten Zollbeamte Mitte Mai 500 Kilogramm illegales Kältemittel und in Polen waren zuletzt mehr als 107 Tonnen illegales Kältemittel entdeckt worden. „Betroffen ist letztlich die gesamte EU, da die Einfuhr in die EU durch die F-Gase-Verordnung europaweit reglementiert ist“, erklärt Joachim Gerstel, Kältemittel-Experte bei Chemours, stellvertretend für das European Fluorcarbon Technical Committee (EFCTC). „Zum Tragen kommt das vor allem an den EU-Außengrenzen: die illegalen HFKW-Kältemittel – teilfluorierte Kohlenwasserstoffe – werden aller Voraussicht nach aus Herstellerländern wie China in EU-Anrainerstaaten transportiert, zum Beispiel in die Ukraine oder in die Türkei. Von dort wird die illegale Ware dann über die EU-Grenzen geschmuggelt.“

16 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent

Das Problem ist riesig: Die Environmental Investigations Agency (EIA) geht davon aus, dass im Jahr 2018 16,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent an illegalen Kältemitteln in die EU transportiert wurden. Auf Grundlage der jüngsten Untersuchungen der Data Analytics-Beratung Oxera nimmt der EFCTC nun jedoch an, dass diese Zahl noch einmal deutlich höher liegt. Für die Untersuchung hat Oxera öffentlich zugängliche Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat, der handelsstatistischen Datenbank der Vereinten Nationen (Comtrade) sowie chinesische Exportdaten verglichen. Auf Basis dieser Daten kommt der EFCTC zu dem Schluss, dass die Menge der 2018 illegal in die EU importierten Kältemittel einem CO2-Äquivalent von 34 Millionen Tonnen entsprechen könnte – doppelt so viel wie bisher im schlimmsten Fall angenommen und rund ein Drittel der im Jahr zulässigen F-Gase-Quote von 101,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Damit wäre der tatsächliche Gesamtmarkt aller Kältemittel innerhalb der EU um rund ein Viertel höher als in der F-Gase-Verordnung vorgesehen.

Kühle Dunkelziffer

„Leider haben wir keine Möglichkeit, die genaue Größe des HFKW-Schwarzmarktes zu beurteilen, da der illegale Handel natürlich nirgendwo offiziell erfasst wird. Mit dieser aktuellen Analyse haben wir jedoch solide Anhaltspunkte für das Ausmaß des Problems. Der illegale HFKW-Handel könnte damit sogar noch alarmierender sein als im bisher schlimmsten Fall angenommen", so Tim Vink, Director Regulatory Affairs bei Honeywell und stellvertretender Vorsitzender des EFCTC. „Die Diskrepanz zwischen den chinesischen Exportzahlen und den von Eurostat verzeichneten Importen, sowie der erhebliche Anstieg der HFKW-Importe in die Nachbarländer sind beträchtlich. Illegaler Handel mit HFKWs könnte einer der Gründe für die Abweichungen in den Daten sein“, ergänzt Matthew Shepherd, Principal bei Oxera Consulting LLP.

Die EU hat bereits versucht, nachzuschärfen. 2019 wurden die Kontrollen verbessert und die Strafverfolgung intensiviert – ohne Erfolg, wie die Agentur für Wirtschaftsermittlung Kroll zeigt. Vergangenes Jahr wurden 444 Angebote illegaler Kältemittel auf 15 Verkaufsplattformen durch Kroll gemeldet. Insgesamt lieferte Kroll Beweise für mindestens 3.000 Tonnen illegal gehandelter HFKWs. Das entspricht einem CO2-Äquivalent von 4,7 Millionen Tonnen, das alleine durch die Nachforschungen von Kroll aufgedeckt wurde. „Die neuesten Erkenntnisse von Kroll machen die Komplexität des Problems deutlich. Die zahlreichen Wege, auf denen HFKW die europäischen Grenzen überqueren, sind äußerst beunruhigend und zeigen, dass das Problem ein gemeinsames, konzentriertes Vorgehen erfordert“, erklärt Mark Vergnano, Vorstandsvorsitzender und CEO von The Chemours Company und Mitglied des EFCTC.

Kälteanlagenbauer sind Leidtragende

Nicht nur, dass sich die illegalen Importe auf die Klimaziele der EU und die Steuereinnahmen auswirken, sie erschweren auch Kältetechnikern den Alltag: Es ist keine Seltenheit, dass Kälteanlagenbauer zu den Kunden kommen und diese bereits günstiges, aus dem Internet erworbenes Kältemittel bereitstehen haben, erzählt Karl-Heinz Thielmann. Er ist Präsident des Verbandes Deutscher Kälte-Klima-Fachbetriebe (VDKF) und erlebt die Auswirkungen, die der Kältemittel-Schmuggel auf den deutschen Markt hat, hautnah: „In einem Friseurladen, der zu meinen Kunden zählt, stand bereits das online gekaufte Kältemittel bereit. Es kam ohne Gefahrengutzeichen und in einem Einwegbehälter.“ Ähnliche Fälle kennt Thielmann auch von Kollegen und Kolleginnen, die das Kältemittel zähneknirschend einfüllen, denn etwas anderes bleibt ihnen nicht übrig, erklärt Karl-Heinz Thielmann: „Wir als Kälteanlagenbauer haben das Problem, dass wir von den Kunden mit Preisen konfrontiert werden und dann nachziehen müssen. Die Preise können wir oftmals aber nicht einhalten.“ Füllen die Anlagenbauer das billig erworbene Kältemittel für den Kunden ein, müssen sie auch die Verantwortung dafür übernehmen, meint der VDKF-Präsident: „Wenn das Kältemittel nicht funktioniert und die Anlage womöglich sogar beschädigt wird, muss man erstmal erklären können, warum man das Mittel überhaupt eingefüllt hat und woher es stammt. Weigert man sich aber gegen das Einfüllen, verliert man den Kunden wahrscheinlich.“ Thielmanns Kunden kommen großteils aus dem Gewerbe. Es sind Metzger, Friseure und Bäcker, die sich die illegalen Kältemittel per Mausklick nachhause liefern lassen und es dort dem Kälteanlagenbauer vor die Nase stellen. Ob das Mittel dabei in einer Einwegflasche oder ohne Gefahrenzeichen kommt, ist den Kunden egal – Hauptsache billig.

Überraschungseffekt bleibt aus

Es ist eine festgefahrene Situation, die Franz Seyfried vom Österreichischen Kälte- und Klimatechnischen Verein (ÖKKV), schon lange kommen sehen hat: „Wenn der Preis innerhalb der EU von der Kommission durch künstliche Verknappung nach oben getrieben wird, ist ganz klar, dass das Kältemittel aus der Ukraine, Weißrussland und so weiter importiert wird. Mit der F-Gase-Verordnung ist unter anderem der Markt in Aserbaidschan explodiert, weil das Mittel nun von dort via LKW in die EU gebracht wird.“ Seyfried sieht das Problem weniger in der Qualität der Kältemittel als in deren Preis: Während man in Österreich rund 40 Euro für das Kilo Kältemittel bezahlt, kostet selbiges in Nicht-EU-Ländern nur rund fünf Euro. „Wir haben von Anfang an gesagt, dass das Hochtreiben der Preise Tür und Tor für den illegalen Import und Schmuggel öffnet. Nun bekommt die EU die Quittung dafür, was sie angerichtet hat.“

Die EU-weite Idee, dass es durch die steigenden Kältemittel-Preise zu Vorziehkäufen kommt, kann der ÖKKV-Präsident nur belächeln: „Es gibt keinen Vorziehkauf. Nehmen wir an, eine Anlage kostet rund 100.000 Euro und soll etwa zwölf Jahre halten. Die Anlage wird auf Lebensdauer abgeschrieben, warum sollte also jemand schon nach acht Jahren auf eine neue Anlage mit umweltschonenderem Kältemittel umsteigen? Das würde einen buchhalterischen Verlust von vier Zwölftel bedeuten.“

Am Ende leidet auch der Verbraucher unter dem Schmuggel, ist Seyfried überzeugt. Hotellerie, Gastronomie und andere kleine Gewerbe müssen die teuren Kältemittel kaufen oder sich selbst um die Beschaffung kümmern. Das wiederum setzt auch Anlagenbauer unter Druck, immer günstiger zu werden. „Die Kunden sind nicht blöd, die wissen über den Kältemittelpreis Bescheid“, ist der ÖKKV-Präsident überzeugt. Auch das EFCTC sieht kleine und mittelständische Betrieb als die Leidtragenden: „Sie vertreiben und verwenden unwissentlich illegal importierte Produkte oder erleiden große Verluste, wenn sie von denjenigen, die dies tun, im Preiswettbewerb unterboten werden“, schreibt das Komittee in einer Aussendung. Tim Vink vom EFCTC erläutert: „Wir haben von einigen kleinen und mittelständischen Unternehmen erfahren, dass sie bis zu 80 Prozent ihrer Geschäftstätigkeiten verloren haben, während sie mit ansehen mussten, wie illegale Aktivitäten und das organisierte Verbrechen ihnen die Existenzgrundlage nahmen.“

Nationale Lösungen sollen helfen

Wie soll es nun aber weitergehen? Müssen KMUs das Preisdumping einfach weiter mitmachen und um ihr Überleben bangen? Deutschland versucht mit einem neuen Gesetzesentwurf dagegen vorzugehen. Er trägt den sperrigen Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Handels mit fluorierten Treibhausgasen“ und soll den Kältemittel-Schmuggel unterbinden. Mit einer neuen Dokumentationspflicht soll die Nachverfolgung der Kältemittel verbessert werden – und der bürokratische Aufwand für Kälte-Klima-Fachbetriebe. Diese müssen dem Endkunden die Legalität des eingesetzten Kältemittels schriftlich bescheinigen, damit dieser wiederum der Gewerbeaufsichtsbehörde den Nachweis vorlegen kann. Außerdem muss jeder Kauf von Kältemitteln deklariert werden. Der VDKF, der Bundesinnungsverband des Deutschen Kälteanlagenbauerhandwerks (BIV), die Landesinnung Hessen-Thüringen/ Baden-Württemberg (LIK) und der Zentralverband Kälte Klima Wärmepumpen (ZVKKW) unterstützen diese Gesetzesinitiative und hoffen dadurch auf Besserung, auch wenn der Aufwand steigt.

Beim ÖKKV hingegen hält man von diesem Gesetzesentwurf nicht viel, handle es sich doch um ein EU-weites Problem. „Wir haben in Österreich keine Notwendigkeit für einen neuen Gesetzesentwurf, der hilft nichts. Die Preisdifferenzen machen den Schmuggel lohnenswert. Kein Wunder, wenn der Weltmarktpreis deutlich unter dem EU-Preis liegt“, so Seyfried. Bei der Eindämmung des Kältemittel-Schmuggels müssen deshalb alle EU-Mitgliedsstaaten miteinbezogen werden. Das sieht auch das EFCTC so: Damit das Problem gelöst werden kann, braucht es eine strengere Durchsetzung geltender Gesetze auf EU-Ebene und eine Sensibilisierung innerhalb der gesamten Lieferkette für Kältemittel sowie schärfere Grenzkontrollen und eine insgesamt engere Zusammenarbeit aller Beteiligten. Eine Chance für eine erfolgreiche Umsetzung sieht Tim Vink für 2021: „Mit Blick auf eine weitere Reduzierung der offiziellen Quote im Januar 2021 fordern wir eine deutlich bessere Durchsetzung der F-Gase-Verordnung, um die illegalen Importe nach Europa endlich einzudämmen.“

Joachim Gerstel rät Unternehmern: „Wer als Handwerker oder Anlagenbetreiber unsicher ist, kann sich an die ‚Action line‘ des EFCTC wenden. Hier können fragwürdige Kältemittel-Angebote auch anonym gemeldet werden, damit die zuständigen Behörden mögliche Vorfälle prüfen können.Vom illegalen Handel profitiert vor allem die organisierte Kriminalität – das kann niemand wollen.“

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