Die Verordnung geizt nicht mit Strenge: Bei mehrstöckigen Wohnhäusern, schreibt das russische Ministerium für Regionalentwicklung vor, muss die Energieeffizienzklasse künftig per Plakette ausgewiesen werden. Die Plakette selbst ist klar lesbar an der Hausfassade anzubringen. Und: Bis 2020 müssen zwanzig Prozent aller russischen Gebäude die höchste Energieeffizienzklasse erreichen.
Mit Effizienzlabels, wie sie die Europäische Union definiert, haben die russischen Hausplaketten allerdings nur bedingt etwas gemeinsam. Wohl bedeutet auch in Russland A das bestmögliche Ergebnis, die Werte sind aber, anders als in Europa, nicht in absoluten Zahlen definiert, sondern als Prozentsatz eines Durchschnittsverbrauchs, der alle fünf Jahre neu ermittelt wird. Effizienzklasse A erreicht demnach in Russland ein Gebäude, wenn es den aktuellen durchschnittlichen Verbrauch um mehr als die Hälfte unterbietet. Kategorie B bedeutet, dass der Verbrauch zumindest zehn Prozent unter dem Durchschnitt liegt. Grob umgerechnet ergibt das Effizienzwerte, die im Jahr 2020 im Schnitt immer noch einen 2,5-mal so hohen Energieverbrauch von Gebäuden ergeben werden wie etwa in Deutschland.
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Lost in transition
Doch auch um dieses vordergründig moderate Ziele zu schaffen, sind Rieseninvestitionen nötig. Derzeit erreichen in Russland rund siebzig Prozent der zur Beheizung der Gebäude verwendeten Energie den Endkonsumenten erst gar nicht: Vierzig Prozent gehen bereits während des Transports verloren, weitere dreißig Prozent im Gebäude selbst. Insgesamt müssten daher fünfzig bis sechzig Prozent aller russischen Gebäude dringend thermisch saniert werden. Nicht viel anders ist die Lage in Belarus, der Ukraine und in Kasachstan.
Die Projekte, die österreichische Unternehmen im Bereich der Gebäudesanierung in den Nachfolgstaaten der ehemaligen Sowjetunion durchführen, sind dementsprechend oft basaler Natur: Einbau von Zählern, einfache Dämmmaßnahmen, Fenster- und Türentausch. Ab und an sind aber auch ambitionierte Ideen dabei. So baut zum Beispiel die in Kärnten ansässige Weissenseer Holz-System-Bau GmbH in der kasachischen Hauptstadt Astana an einem Vorzeigeprojekt mit, in dessen Rahmen eine energieautarke Wohnsiedlung aus über 200 Passivhäusern entstehen soll.
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In Europa nicht gefragt
Abseits solcher Leuchtturmprojekte sehen sich Gebäudesanierer im Osten aber häufig dem Vorwurf ausgesetzt, sie würden dort mit Materialien und nach Standards sanieren, die innerhalb der EU längst nicht mehr state of the art sind. Offiziell kommentieren wollen das weder die Unternehmen selbst noch ihre Interessensvertreter. In inoffiziellen Gesprächen verweisen Involvierte hingegen gern auf die Spezifik des postsowjetischen Marktes. Ein Insider: „Natürlich wird da das eine oder andere verkauft, was in Europa nicht mehr so nachgefragt ist. Aber das ist immer noch besser, als alles beim Alten zu belassen.“
Eine Einschätzung, die auch Katrin Stieldorf, Professorin an der TU Wien und Spezialistin für nachhaltiges Bauen bestätigt. Sie betont, dass bei der Sanierung von altsowjetischem Baubestand Weststandards nicht immer anwendbar sind: „Belarus, Kasachstan, Russland und die Ukraine haben einen sehr großen Baubestand – sehr häufig Plattenbauten – der noch kaum saniert wurde.“ Bei Sanierungen gehe es daher zunächst darum, Fenster und Heizanlagen zu erneuern und die Hülle des Gebäudes entsprechend zu dämmen. Die großen Dämmstärken, die für einen optimalen Effekt nötig wären, seien bei Plattenbauten in der Praxis allerdings oft nicht umsetzbar. „Hier ist schon viel erreicht, wenn zumindest das gemacht wird, was möglich ist, zumal bei der Dämmung die ersten Zentimeter ohnehin die entscheidenden sind“, sagt Stieldorf.
Bei der Bewertung von Neubauprojekten ist die TU-Professorin hingegen deutlich strenger: „Hier muss jedenfalls ein hoher Standard angestrebt werden, da Gebäude so errichtet werden sollen, dass ihnen ein langes Leben garantiert werden kann.“ Wie bei vergleichbaren Projekten in Europa fordert Stieldorf daher, effizienzsteigernde Haustechnik von Anfang an einzubauen, etwa kontrollierte Lüftung oder Wärmerückgewinnung. Noch sind solche Projekte im Osten allerdings ein absolutes Minderheitenprogramm.